Workshop: Familiengeschichte oder Geschichte der Familie? Kontexte, Perspektiven und Zugänge einer Familienzeitgeschichte

Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 12./13. Oktober 2018

 

Veranstalter: Rolf-Ulrich Kunze und Marcus Popplow (beide KIT-Institut für Geschichte)

 

„Wir sollten den Alten nicht den Mund zuhalten, wenn sie uns etwas erzählen wollen,“ schrieb Walter Kempowski zur Einleitung seines ,Echolot’, „und wir dürfen ihre Tagebücher nicht in den Sperrmüll geben“ – häufig geschieht allerdings genau das: Ungezählte privat überlieferte Quellenbestände werden mangels zuständiger Archive vernichtet, und noch immer nehmen viele Zeithistoriker den Zeitzeugen als Gegner wahr, der mangels wissenschaftlicher Einordnung seiner familiären Überlieferung methodisch disziplinierte Diskussionen stört.

 

In Archiven gehört Familiengeschichte zu den mit Abstand am meisten nachgefragten Themen überhaupt. Die dort von Privatleuten recherchierten Geschichten nehmen mit wenigen Ausnahmen von den Methoden und Erkenntnissen weder der Geschichte der Familie noch der Zeitgeschichte Kenntnis. Vielmehr zeigen sie sich beeinflusst von medialen Konjunkturen wie der Präsenz des Themas Heimkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft in den 1980er Jahren (Albrecht Lehmann), Bombenkrieg in den 1990er Jahren (Jörg Friedrich) oder der Rekonstruktion einer Kriegskinder- und Kriegsenkel-Identität seit den 2000er Jahren (Sabine Bode).

 

Da die private Familiengeschichte somit – aus Sicht der Fachwissenschaft – methodisch und konzeptionell hochgradig defizitär bleibt, wird sie von der institutionalisierten Geschichtswissenschaft wenig wahrgenommen. Auch die privat überlieferten Quellen zur Zeitgeschichte der Familie verbleiben somit im Kreis der Familie, wo sie der Forschung nicht zugänglich sind und im Zuge von Generationswechseln oft verloren gehen. Tatsächlich bieten jedoch nicht nur die familiären Quellenbestände für die Zeitgeschichte eine wesentliche Ressource. Auch die durch Laien erbrachten Forschungsleistungen könnten der Zeitgeschichte neue Impulse geben, da die „Geschichte der Familie“ dieser Epoche noch die größten Lücken aufweist. Schließlich repräsentiert das erhebliche Interesse der Menschen an der Geschichte ihrer Familien auch ein Publikum für Historiker, deren Erreichen nicht nur aus strategischen Motiven angestrebt werden kann, sondern auch ein Anliegen historisch-politischer Bildung darstellt. Die allgemein zu beobachtenden Veränderungen von Gedächtnis und Erinnerung an den Nationalsozialismus aufgrund des spürbar werdenden Fehlens der Erlebniszeugen, stellt auch die Familienzeitgeschichte vor neue Herausforderungen.

 

Ziel des ersten Karlsruher Workshops zur Geschichte der Familie im 20 Jahrhundert ist es, die Kontexte, Perspektiven und Zugänge einer Familienzeitgeschichte zu prüfen, um zu ergründen, welche Annäherungsmöglichkeiten sich zwischen der von Laien betriebenen Familiengeschichte und der fachwissenschaftlichen Kulturen von u. a. der Publizistik, Zeitgeschichte, Kulturwissenschaft, Familienberatung und Theologie bieten.

 

 

 

Programm:

 
Freitag, 12. Oktober 2018

 

12.15

Ankunft, Kaffee

 

12.40

Begrüßung: Marcus Popplow

 

12:45–13:10

Einführung: Rolf-Ulrich Kunze

 

 

Das Thema Kriegskinder und -enkel

 

13:10–14:00

Familiengeschichtliches Coming out. Kriegskinder und Kriegsenkel: Sabine Bode

 

 

Die Quellenperspektive

 

14:00–14:50

Beziehungsgeschichten. Forschen mit/über DDR-Übersiedler-Familien: Laura Wehr

 

14:50–15:40

Familienfotoalben als zeitgeschichtliche Quelle: Rolf-Ulrich Kunze

 

Kaffeepause

 

Zeitgeschichte in familiären Konflikten und im Gemeindeleben

16:10–17:00

Familienkonflikte in der Familienberatung: Barbara Fank-Landkammer, Karlsruhe

 

17:10–18:00

Familien im Gemeindeleben: Fallbeispiele: Susanne Labsch, Karlsruhe

 

18:30

Gemeinsames Abendessen (N. N.)

 

20:30

Abendvortrag. Heimatgefühle eines Kosmopoliten: Hans-Peter Schütt, Heidelberg

 

 

 

Sonnabend, 13. Oktober 2018

 

Familien und lokale Zeitgeschichte

 

09.10 –10.00

Biographien in der lokalen und regionalen Zeitgeschichte, 1992–2007: Klaus Eisele

 

10.10 –11.00

Vorstellung der M.A.-Arbeit Trümmerjahre. Familienleben –

Wie viel Alltag steckt in der Nachkriegszeit? Eine Analyse von geführten

Zeitzeugeninterviews in Anlehnung an Nachkriegsliteratur: Franziska Sauerborn

 

11.00 – 11.10

Kaffeepause

 

 

Probleme des Biographischen

 

11.10 –12.00

Über die Schwierigkeit, Familiengeschichte zu schreiben: Linde Apel

 

 

Dokumentation von Lebensgeschichten

 

12.00 – 12.50

Dokumentation von Lebensgeschichten und die Wiener Schule: Gert Dressel

 

 

12.50–13.00

Schlusswort: Rolf-Ulrich Kunze, Marcus Popplow

 

13.00

Ende des Workshops

 

 

Teilnehmerinnen und Teilnehmer:

 

Dr. Linde Apel, Hamburg

Sabine Bode, Köln

Dr. Gert Dressel, Wien/Klagenfurt

Dr. Klaus Eisele, KIT

Pfarrerin Susanne Labsch, Karlsruhe

Dipl.-Soz.-Päd.’, Dipl.-Ehe-, Lebens-, Fam.-Beraterin Barbara Fank-Landkammer, Karlsruhe

Prof. Dr. Rolf-Ulrich Kunze, KIT

Prof. Dr. Marcus Popplow, KIT

Franziska Sauerborn, M.A., Heidelberg

Prof. Dr. Hans-Peter Schütt, Heidelberg

Dr. Laura Wehr, München

 

Erbeten wird ein max. 30-minütiger Vortrag, vorgesehen sind min. 20 Min. Diskussion pro Thema. Die Veröffentlichung in einem Sammelband ist geplant.