Ungleichzeitigkeiten der Windenergienutzung. Narrative, Wissen, Praktiken in Deutschland und Frankreich seit 1876

In den vergangenen dreißig Jahren hat sich die Windenergienutzung sukzessive zu einer der wichtigsten Säule klimafreundlicher Energiesysteme entwickelt. Dabei erlangte unter anderem diese Form der Energiegewinnung in der jüngsten Zeit gar die Zuschreibungen als Friedens- und Freiheitsenergie. Blickt man auf die Geschichte der Windenergienutzung im langen 20. Jahrhundert zurück, zeichnete sich diese maßgebliche Bedeutung innerhalb europäischer Energiesysteme zunächst nicht ab. Vielmehr bestimmten lange Zeit Rückständigkeitsnarrative und forschungspraktische Marginalisierung. Das Projekt setzt sich mit diesem Spannungsfeld in einer transnationalen Perspektive auseinander.

Windenergieanlagen in Schleswig-Holstein (links) und im Languedoc-Roussillon, Frankreich (Mitte, rechts)
Windenergieanlagen in Schleswig-Holstein (links) und im Languedoc-Roussillon, Frankreich (Mitte, rechts)

Entlang der Diskurse, der im Wandel befindlichen Konstellationen des Windenergiewissens und realhistorischer Praktiken der Windenergienutzung seit Ende der 1870er Jahre werden die Ungleichzeitigkeiten der Windenergienutzung in den jeweiligen historischen Kontexten der Nachbarländer und Energiepartner Deutschland und Frankreich auf. Dieser Dreiklang ermöglicht es, die Diskrepanzen zwischen Narrativen, Wissen und Praktiken aufzudecken und zu verdeutlichen, in welchen historischen Situationen auf die Nutzung der Windenergie diskursiv und materiell zurückgegriffen wurde. Das Bild, das sich dabei ergibt, ist deutlich differenzierter als es das etablierte Narrativ von Niedergang und Renaissance im 20. Jahrhundert vermuten lässt, denn in diesem Zeitraum war die Windenergie in Modernisierungspraktiken eingebunden, sie wurde in Krisenerzählungen etabliert und ihre sinnhafte Nutzung war statt an übergreifenden Rationalisierungs- und Effizienzkriterien vielmehr an lokalen Ressourcen-, Arbeits- und Lebensbedingungen orientiert.

Die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt zur Windenergienutzung bieten über die Ausdifferenzierung der energiegeschichtlichen Betrachtung hinaus historisches Orientierungswissen für ein besseres Verständnis des Status Quos, eine vertiefte Grundlage zur Einschätzung aktueller Debatten und eine Perspektiverweiterung auf zumeist vielfältige Entscheidungsmöglichkeiten, die nur retrospektiv zuweilen als alternativlos erscheinen.